Donnerstag, 9. Februar 2017

Text zur Krähenformung 2015 im Künstlerbuch



„Krähenformung“
Der von der Künstlerin gewählte Titel dieser Werkserie vereint in einem Wort das Thematische des Naturbezugs, zu deuten als die Darstellung einer bestimmten Tierart, mit dem abstrakten Begriff Formung. Formung bringt einen Prozess zur Sprache, gibt zu erkennen: Form wird erst, präexistiert nicht. Das künstlerische Arbeiten Vera Kattlers kommt damit präzise zur Sprache. Ihre Ölmalerei ist streng und seriell, basiert aber gleichzeitig auf einer intuitiven Herangehensweise. Der Werkprozess bleibt sichtbar erhalten samt Flecken und Kratzern, was noch vom Bildträger unterstützt wird: Das glatte weiße Papier jeweils identischen Formats (30x40 cm) bewahrt jede Spur der Werkentstehung.
Diese Malerei führt hin zu Resultaten von höchster Realitätsempfindung und damit auch zu einem intensiven Naturerleben. Sie führt dunkle Krähen vor blendend hellem Grund geradezu porträthaft vor Augen. Diese beäugen den Betrachter unvermittelt, sind äußerst präsent, auch dank der Nahsichtigkeit, die von den kleinen Bilddimensionen erzwungen wird. Die Gegenwart der Wesen, die Vera Kattlers Malerei erschafft, bereitet, wie hier, nicht unbedingt Behagen, aufgrund der Direktheit der Konfrontation mit einer wehrhaften Kreatur. In früheren Werkreihen wurde ähnliches Unbehagen ausgelöst durch Nager, Primaten oder die sich Gattungsbegriffen entziehenden Geschöpfe des „Wurzelgekriechs“. Die ungemütliche Nähe irritiert, obwohl sich die Kreaturen doch jederzeit als Erzeugnisse eines Malakts zu erkennen geben und jeder Pinselstrich offen zu Tage tritt. Es entstehen mithin Bilder, die den Betrachter anschauen, die zurückschauen, nicht allein die darin veranschaulichten Wesen. Der Blick forscht ins Bild hinein und das Bild reagiert, es hebt die schützende Distanz auf, entlarvt die Überlegenheit des Kenners genau wie die Anonymität, die eine teilnahmslose Betrachtung gewährt. Noch dazu formieren sich die zahlreichen Bilder einer Serie in den Ausstellungen zu raumgreifender Präsenz, bemächtigen sich der gesamten Umgebung, führen überall ihr Unwesen. Im Fall der Krähenformung schweben sie auch als Schattenrisse im Raum, als bewegte, mal hell, mal dunkel erscheinende Schemen, als entkörperlichter Schwarm, Ausdruck einer enormen Übermacht, bedrohlich und harmlos zugleich. Das Hell und Dunkel der Bilder greift so auf den Ausstellungsraum über, die Krähenformung mobilisiert und rhythmisiert ihn. Hinzu kommen Druckgraphiken: Ähnlich den Scherenschnitten überlagern sich einzelne Linolschnitte von jeweils homogener Farbe und formen dabei immer neue Arabesken aus Krähenprotomen. Seriell entwickelt, erscheint so doch stets Unerwartetes, manchmal zart, manchmal dämonisch. Das serielle Formen prägt ebenso Deformation aus: Die Krähen erscheinen und entziehen sich wieder, verschwinden, hinterlassen im Bild aber Reste, Körperteile, Aas, Kot oder nur Bewegungsspuren, Erinnerungsfetzen. Vera Kattlers Bilder erscheinen als das Motiv variierende Mutationen und als Schöpfungen eines konsequent seriell verstandenen Malaktes. Die Schöpfung erscheint vital und muss daher vergänglich sein.









Trotz des Umfangs bietet die Serie keinesfalls eine Enzyklopädie der Krähe; manches für die Tiere Charakteristische wird jedoch betont. Als Kulturfolger, die überall um uns herum anzutreffen sind, nähern sie sich uns in den Werken wie im Leben auf vielfältigste Weise: stark, selbstbewusst, erhaben, mutig, klug oder verletzlich, unbeholfen, manchmal in Auflösung begriffen. Solche Begriffe könnten allerdings genauso menschliche Verhaltensweisen beschreiben. Mit dem Blick auf die Krähen tritt nicht nur das Tierhafte hervor, das Betrachten gerät vielmehr zum Blick in einen Spiegel, aus dem das Eigene als das Fremde, Unbestimmte, Abgründige zurückschaut. Die Kompositionen sind also nicht als Tierlebensdarstellungen, sondern als Formung von abgründigen Fremdheitserfahrungen so vielgestaltig.


Lassen sich die Krähen vielleicht symbolisch interpretieren? Gängigen Deutungen entsprechend näherten sie sich dann als Botschafter alles Vergänglichen, als Begleiter des Todes oder als Akteure in einem Totentanz. Dafür fehlt es den Bildern wohl an ausdrücklicher Jenseitigkeit; die Künstlerin arbeitet das Vitale der Kreatur heraus, zwar bis hin zu seiner Auflösung, doch ohne Perspektive auf ein Dahinter. Eher ist das Unterbewusste in tierhafte Gestalt gefasst als das Dunkle und Fremde, das sich uns zuwendet, ohne ganz erkannt werden zu können.
Existentiell ist demnach das Erscheinen der Krähen im Bild, denn sie haben keinen Ort außer sich, nichts als die helle Fläche ihrer Bildwerdung mit deren Spuren, keinen Raum, keinen Horizont und Himmel, keine Erde und Atmosphäre. Obwohl Vögel scheinen sie nicht zu fliegen, bestenfalls flattern sie, schlagen um sich, kämpfen, doch eher mit der eigenen Existenz, ohne sichtbaren Gegner. Sie ziehen auch nicht von hier nach da, es gibt kein Entkommen aus der Präsenz. Die Wesen sind einfach da, sie verströmen Lebensenergie, pulsierend und atmend, sind durch die Pinselführung von flackernder Vitalität geprägt. Gelegentlich glänzt das schwärzlich-blaue Gefieder kostbar auf, bezieht den lichten Grund in sich ein und verliert dann an Schwere.

Eine etwas vom Boden pickende Krähe beherrscht als kompakter, aber mit einer öligen Aura konturierter Rhombus – das Bindemittel erzeugt machmal sogar auf der Bildrückseite noch geisterhafthafte Erscheinungen – die Richtungen des Bildfelds. Ihre dünnen, breit ausgestellten Beine werden von scharrenden Krallen unterfangen, die der Festigkeit und Schwere des Leibes nervöse Bewegung, unaufhörliche Anspannung gegenüberstellen. Halbfigurig doppelköpfig eine andere Krähe, die die Richtungen ausdrucksbetont differenziert, strubbelig links, auftrumpfend spitz nach oben gerichtet, dagegen ablaufend gleitend die rechte Seite, widerstandslos, zugehörig ein kleineres Auge, das ängstlicher als das rechte dreinschaut. Zwei Seelen in einer Brust?
Die Krähen formen sich ruhig oder bewegt, stets in Relation zur Bildfläche und zu komplex aufzufassenden Lebenssituationen. Gegensätzliche, einander aufhebende Kräfte innerhalb eines Wesens werden so sichtbar. Deren Anspannung wird an die gesamte Bildfläche weitergegeben, ohne aber dort Unruhe zu erzeugen, wofür auch die selbstbewusste Gelassenheit des Blickes einsteht; Ausgewogenheit entsteht, vielleicht eine stoische Haltung bekundend, die jedem Untergang trotzt. Und Untergang droht überall: Je mehr die Krähen den stabilisierenden Kontakt zum Bildrand verlieren, je freier sie sind, desto stärker mutieren sie, was die Künstlerin bis zum Verschwinden des Motivs verfolgt.

Bernhard Wehlen

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Echt ein interessanter Blog! Freue mich über neues

LG Jonas von Anti-Mücken

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