7 x Öl auf Holz, 15 x 21 cm, 2013 |
Donnerstag, 28. November 2013
Donnerstag, 7. November 2013
Text zu den Mäusen
Das kleine Monströse
Mit Nagetieren assoziieren wir im Allgemeinen
eine possierliche Erscheinung. Sie rühren uns, weil sie so winzig, schnell und
wendig sind, weil sie schönes zartes Fall haben, beim Beißen ihre langen Zähne
zeigen und uns mit ihren schwarzen Knopfaugen ins Visier nehmen. Diesen
Tierchen widmet sich Vera Kattler in ihren aktuellen, in Ölfarbe auf Papier
gemalten Bildern. Sie jedoch auf den Aspekt des Putzigen reduzieren zu wollen,
hieße, die Kunst Kattlers zu einseitig und oberflächlich zu begreifen.
Anders als in ihren früheren Gemälden, in
denen sie, einem Relief vergleichbar, aus einem abstrahierten, flächig
gestalteten Bildgrund das Tier mit Hilfe der Finger aus Farbe plastisch
modelliert, setzt Kattler die kleinen Nager völlig isoliert auf das weiße
Blatt. Auch hier ist die Farbe mit Pinsel, Fingern oder Pinselstiel pastos
aufgetragen. Herausgenommen aus einem übergeordneten Kontext, gewinnt das Tier
trotz des kleinen Formates eine irritierende Absolutheit der Präsenz.
Arbeitsspuren in Form von Klecksen und
Farbflecken lässt Vera Kattler bewusst stehen, um die Skizzenhaftigkeit und
Spontaneität der Bilder zu betonen. Ausgehend von einem bestimmten Motiv
entwickelt sie in rascher Folge mehrere Variationen desselben Tieres als
eigenständige Reihe, wobei sie unterschiedliche Eigenschaften und Ansichten
thematisiert und die Bilder zunehmend zum Malerischen und Abstrakten hin
entwickelt. So kann es vorkommen, dass sich die Farbigkeit ganz frei vom realen
Vorbild entfaltet oder sich die Form zum Ambivalenten verändert. Manchmal ist
es schwierig, gar unmöglich, das dargestellte Tier genau zu identifizieren.
Unterschiedliche Merkmale treten ins Bewusstsein, etwa die Feingliedrigkeit des
Körperbaus, das flauschige Volumen des Fells, die Intensität des Blicks,
behäbiges Einrollen, Sattheit und Schläfrigkeit oder beeindruckende
Beweglichkeit und Flinkheit bis hin zu Angriffslust und Kampfbereitschaft.
Mitunter erscheinen Kattlers Ratten, Mäuse und
Hamster wie deformierte, einzig durch einen herausfordernden Blick belebte und
in einem Prozess der Metamorphose befindliche Kreaturen. Einige Titel ihrer
2011 entstandenen Serien lauten „Mausklumpen“, „Klumpenbildung“, „Wandelwesen“,
„drei wechselbälger“ oder „das kleine monströse“. Sie sprechen die Themen Missbildung, Verwandlung
und Unbehagen dezidiert an. Vera Kattler geht es nach eigener Aussage nicht um
die wirklichkeitstreue Imitation eines spezifischen Geschöpfes, sondern „um die
Darstellung des Tierhaften, des Fremden“ schlechthin, das wir intuitiv
erfassen.[1]
Große Tiere können uns durch ihre körperliche
Überlegenheit und Wildheit ängstigen, doch wir spüren auch bei Kattlers als
niedlich geltenden Kleintieren eine dunkle, beunruhigende Seite. Ein
Charakteristikum des Animalischen ist die Unberechenbarkeit. Um die eigene
Existenz zu sichern oder zu verteidigen, greift selbst das kleine Tier seine
potenziellen Feinde instinktiv an. Das Triebhafte, Aggressive bestimmt das
Leben wesentlich mit. „das kleine monströse“ trifft damit auch den Kern unserer
menschlichen Existenz.
In Kattlers Tierbildern ahnen wir die Nähe des
abgebildeten Wesens zu uns selbst. Wir begegnen in ihnen dem anderen, das sich
uns immer nur zum Teil offenbart. Indem Vera Kattler den Bildgegenstand
malerisch sehr frei interpretiert und Details oft nur andeutet, gelingt es ihr,
das Geheimnis des Unbekannten zu wahren.
Dr. Petra Wilhelmy