„Krähenformung“
Der von der Künstlerin gewählte Titel dieser Werkserie
vereint in einem Wort das Thematische des Naturbezugs, zu deuten als die
Darstellung einer bestimmten Tierart, mit dem abstrakten Begriff Formung.
Formung bringt einen Prozess zur Sprache, gibt zu erkennen: Form wird erst,
präexistiert nicht. Das künstlerische Arbeiten Vera Kattlers kommt damit
präzise zur Sprache. Ihre Ölmalerei ist streng und seriell, basiert aber
gleichzeitig auf einer intuitiven Herangehensweise. Der Werkprozess bleibt
sichtbar erhalten samt Flecken und Kratzern, was noch vom Bildträger unterstützt
wird: Das glatte weiße Papier jeweils identischen Formats (30x40 cm) bewahrt
jede Spur der Werkentstehung.
Diese Malerei führt hin zu Resultaten von höchster
Realitätsempfindung und damit auch zu einem intensiven Naturerleben. Sie führt
dunkle Krähen vor blendend hellem Grund geradezu porträthaft vor Augen. Diese
beäugen den Betrachter unvermittelt, sind äußerst präsent, auch dank der
Nahsichtigkeit, die von den kleinen Bilddimensionen erzwungen wird. Die
Gegenwart der Wesen, die Vera Kattlers Malerei erschafft, bereitet, wie hier,
nicht unbedingt Behagen, aufgrund der Direktheit der Konfrontation mit einer
wehrhaften Kreatur. In früheren Werkreihen wurde ähnliches Unbehagen ausgelöst
durch Nager, Primaten oder die sich Gattungsbegriffen entziehenden Geschöpfe
des „Wurzelgekriechs“. Die ungemütliche Nähe irritiert, obwohl sich die
Kreaturen doch jederzeit als Erzeugnisse eines Malakts zu erkennen geben und
jeder Pinselstrich offen zu Tage tritt. Es entstehen mithin Bilder, die den Betrachter anschauen,
die zurückschauen, nicht allein die darin veranschaulichten Wesen. Der Blick
forscht ins Bild hinein und das Bild reagiert, es hebt die schützende Distanz
auf, entlarvt die Überlegenheit des Kenners genau wie die Anonymität, die eine
teilnahmslose Betrachtung gewährt. Noch dazu formieren sich die zahlreichen
Bilder einer Serie in den Ausstellungen zu raumgreifender Präsenz, bemächtigen
sich der gesamten Umgebung, führen überall ihr Unwesen. Im Fall der
Krähenformung schweben sie auch als Schattenrisse im Raum, als bewegte, mal
hell, mal dunkel erscheinende Schemen, als entkörperlichter Schwarm, Ausdruck
einer enormen Übermacht, bedrohlich und harmlos zugleich. Das Hell und Dunkel
der Bilder greift so auf den Ausstellungsraum über, die Krähenformung
mobilisiert und rhythmisiert ihn. Hinzu kommen Druckgraphiken: Ähnlich den
Scherenschnitten überlagern sich einzelne Linolschnitte von jeweils homogener
Farbe und formen dabei immer neue Arabesken aus Krähenprotomen. Seriell
entwickelt, erscheint so doch stets Unerwartetes, manchmal zart, manchmal
dämonisch. Das serielle Formen prägt ebenso Deformation aus: Die Krähen
erscheinen und entziehen sich wieder, verschwinden, hinterlassen im Bild aber
Reste, Körperteile, Aas, Kot oder nur Bewegungsspuren, Erinnerungsfetzen. Vera
Kattlers Bilder erscheinen als das Motiv variierende Mutationen und als
Schöpfungen eines konsequent seriell verstandenen Malaktes. Die Schöpfung
erscheint vital und muss daher vergänglich sein.
Trotz des
Umfangs bietet die Serie keinesfalls eine Enzyklopädie der Krähe; manches für
die Tiere Charakteristische wird jedoch betont. Als Kulturfolger, die überall
um uns herum anzutreffen sind, nähern sie sich uns in den Werken wie im Leben
auf vielfältigste Weise: stark, selbstbewusst, erhaben, mutig, klug oder
verletzlich, unbeholfen, manchmal in Auflösung begriffen. Solche Begriffe
könnten allerdings genauso menschliche Verhaltensweisen beschreiben. Mit dem
Blick auf die Krähen tritt nicht nur das Tierhafte hervor, das Betrachten gerät
vielmehr zum Blick in einen Spiegel, aus dem das Eigene als das Fremde,
Unbestimmte, Abgründige zurückschaut. Die Kompositionen sind also nicht als
Tierlebensdarstellungen, sondern als Formung von abgründigen
Fremdheitserfahrungen so vielgestaltig.
Lassen sich
die Krähen vielleicht symbolisch interpretieren? Gängigen Deutungen
entsprechend näherten sie sich dann als Botschafter alles Vergänglichen, als
Begleiter des Todes oder als Akteure in einem Totentanz. Dafür fehlt es den
Bildern wohl an ausdrücklicher Jenseitigkeit; die Künstlerin arbeitet das
Vitale der Kreatur heraus, zwar bis hin zu seiner Auflösung, doch ohne
Perspektive auf ein Dahinter. Eher ist das Unterbewusste in tierhafte Gestalt
gefasst als das Dunkle und Fremde, das sich uns zuwendet, ohne ganz erkannt
werden zu können.
Existentiell ist demnach das Erscheinen der Krähen im Bild,
denn sie haben keinen Ort außer sich, nichts als die helle Fläche ihrer
Bildwerdung mit deren Spuren, keinen Raum, keinen Horizont und Himmel, keine
Erde und Atmosphäre. Obwohl Vögel scheinen sie nicht zu fliegen, bestenfalls
flattern sie, schlagen um sich, kämpfen, doch eher mit der eigenen Existenz,
ohne sichtbaren Gegner. Sie ziehen auch nicht von hier nach da, es gibt kein
Entkommen aus der Präsenz. Die Wesen sind einfach da, sie verströmen
Lebensenergie, pulsierend und atmend, sind durch die Pinselführung von
flackernder Vitalität geprägt. Gelegentlich glänzt das schwärzlich-blaue
Gefieder kostbar auf, bezieht den lichten Grund in sich ein und verliert dann
an Schwere.
Eine etwas
vom Boden pickende Krähe beherrscht als kompakter, aber mit einer öligen Aura
konturierter Rhombus – das Bindemittel erzeugt machmal sogar auf der
Bildrückseite noch geisterhafthafte Erscheinungen – die Richtungen des
Bildfelds. Ihre dünnen, breit ausgestellten Beine werden von scharrenden
Krallen unterfangen, die der Festigkeit und Schwere des Leibes nervöse
Bewegung, unaufhörliche Anspannung gegenüberstellen. Halbfigurig doppelköpfig
eine andere Krähe, die die Richtungen ausdrucksbetont differenziert, strubbelig
links, auftrumpfend spitz nach oben gerichtet, dagegen ablaufend gleitend die
rechte Seite, widerstandslos, zugehörig ein kleineres Auge, das ängstlicher als
das rechte dreinschaut. Zwei Seelen in einer Brust?
Die Krähen
formen sich ruhig oder bewegt, stets in Relation zur Bildfläche und zu komplex
aufzufassenden Lebenssituationen. Gegensätzliche, einander aufhebende Kräfte
innerhalb eines Wesens werden so sichtbar. Deren Anspannung wird an die gesamte
Bildfläche weitergegeben, ohne aber dort Unruhe zu erzeugen, wofür auch die
selbstbewusste Gelassenheit des Blickes einsteht; Ausgewogenheit entsteht,
vielleicht eine stoische Haltung bekundend, die jedem Untergang trotzt. Und Untergang
droht überall: Je mehr die Krähen den stabilisierenden Kontakt zum Bildrand
verlieren, je freier sie sind, desto stärker mutieren sie, was die Künstlerin bis zum Verschwinden des Motivs verfolgt.
Bernhard
Wehlen
1 Kommentar:
Echt ein interessanter Blog! Freue mich über neues
LG Jonas von Anti-Mücken
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