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Rezension bei Fixpoetry von André Schinkel Hamburg 19.03.2020
https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritik/vera-kattler/danilo-pockrandt/lebte-die-seife
Lebte die Seife?
Ein Text-Grafik-Buch von Vera
Kattler und Danilo Pockrandt
19.03.2020
Hamburg
Von
„Lebte die Seife?“ Mit dieser rhetorisch-unheimlichen
Frage ist man bereits mittendrin im Kosmos eines Projekts von Vera Kattler (Grafiken) und
Danilo
Pockrandt (Texte), das sich im ersten Band der edition unbewohnt,
die die beiden Urheber damit auch als gegründet postulieren, präsentiert: Unter
dem Titel sind dort eine Reihe Zeichnungen und Kurzprosastücke vereint, die
einem langen Austausch folgen und doppelte Gestalt annehmen.
Ausgangsort dieses Buches ist das legendäre Schloss
Wiepersdorf im Fläming, das stille Haus der von Arnims, seit vielen Jahren
eines der Traumdomizile vieler Künstler aus ganz Europa. Dort begegneten sich
Vera Kattler und Danilo Pockrandt 2011 während eines Stipendiums. An dieser
heilig-heimeligen Stätte, deren Bestand immer wieder bedroht und doch immer
wieder gesichert scheint, entstanden schon eine Reihe Ideen für gemeinsame
Projekte. Und so ist der Kattler’sche Zyklus „Das schöne Gewand“ nun einer
Reihe über die Jahre des Kontakts entstandener Pockrandt-Miniaturen
gegenübergestellt.
Das Konzept ist dabei so einfach wie faszinierend –
dem feinen Strich Kattlers, der eine Textur aus Fließendem und
Molluskenscherben vereint, stellt Pockrandt kleine, stille und ins ins Surreale
hakende Beobachtungen als Mosaik aus kurzen Prosastücken gegenüber. Kinder
werden da in aller Vorsicht und Aufmerksamkeit jongliert, die Dunkelheit des
Waldes vom Zipfel der Bettdecke aus erkundet, das Firmament wird durch die
beschlagene Scheibe des Fensters dirigiert. Und scheinbar gipfelt die Erkundung
in der Frage: „Lebte die Seife?“ Es ist auch eine Zumutung, dass die Seife,
wann immer man ans Waschbecken zurückkehrt, einen Bart hat, den man zwar
wegwischen kann, der jedoch immer wieder kommt und die kleinen Mitbewohner in
der Bude vertreibt, bis eben die Seife alle ist.
So gesehen vereint dieses schmale, aber großformatige
Buch auf beiden Seiten der Kunst Striche und Notate, wie sie aus den Träumen
aufsteigen und mit dem Erwachen zu Schemen oder Klarnebeln werden – in den
Zeichnungen weich und kantig zugleich, in den Texten mit jenem stillen Aufruhr,
ausgesetzten Staunen versehen, wie man sie auch von den Gedichten und
Kindertexten Pockrandts kennt, der selbst ein ausgewiesener Zeichner und
Buchkünstler ist, und dessen dringliches Moment im Sprechen immer wieder auch
eine Richtung ins Helle, wenngleich, wie man vermuten darf, erst jenseits des
Endes des Textes, impliziert, oft genug, wenn man bereits Atem holt, mit einer
Kehrtwende ins Grelle.
Und es ist, so scheint es, auch nicht für alle
Teilnehmer dieser Texte vorgesehen, aus den sich mäanderförmig wie die Stoff-
oder Perlmuttbögen der Kattler’schen Strichanordnungen in ein höheres zu fügen
oder gar zu befreien. Gerade in der Schlussprosa, die in der Tat zum Genre der
‚letzten Texte‘ gezählt werden darf, wird mehr als das deutlich. Das Erzählchen,
das sich auch geschwisterlich zu den Texten eines Thomas Böhme („Der
Kaventsmann mit der Sammeltasse“ oder, ganz frisch, das
fulminant-kühl-schweigsam-beredte „Puppenkino“) denken lässt, beobachtet das
Treiben der Perlen im Meer und vor allem derer, die in ihren Bann geraten – das
kann nicht gutgehen, meint man; und richtig, schon beginnt eine Heldin ihr
Inventar in die Wellen zu schieben. Während dem Beobachter aus seiner Wolke
seines Traums nur eben beobachten kann, werden ihm seine eigenen prekär-seltsamen
Umstände gleichermaßen und schwer abänderbar bewusst: „Sie hörte nicht auf
meine Rufe. Ihre Bewegungen waren langsam und bestimmt. Als auch ihr Kopf in
den Wellen verschwunden war, hoffte ich zu erwachen. Und das hoffe ich immer
noch.“
Die tieferen Gebilde, sie lassen sich eben nicht so
behände wegwischen wie der Bart, den die Seife Tag für Tag ansetzt, bis sie
sich auflöst. Auch ein skurriler Tassenbart kommt in „Lebte die Seife?“ vor,
überhaupt einiges zum Grifflachen und Gruselgrinsen. Nichtsdestotrotz ist dem
Kaleidoskop aus Gewand- und Schneckenschutt, aus Visionen und Entdeckung stets
eine Prise Traum-Ernst der Art beigemischt, dass man sich fragt, ob man wacht,
schläft oder gar schlafwandelt. Ein Einstand für die frisch erfundene edition
unbewohnt, wie man ihn sich trefflicher vielleicht nicht denken kann – ein
Wandeln und Wendeln zwischen den Ebenen des Bewusstseins: aus uns heraus und
doch bereits jenseits von uns.