Donnerstag, 7. November 2013

Text zu den Mäusen



Das kleine Monströse


Mit Nagetieren assoziieren wir im Allgemeinen eine possierliche Erscheinung. Sie rühren uns, weil sie so winzig, schnell und wendig sind, weil sie schönes zartes Fall haben, beim Beißen ihre langen Zähne zeigen und uns mit ihren schwarzen Knopfaugen ins Visier nehmen. Diesen Tierchen widmet sich Vera Kattler in ihren aktuellen, in Ölfarbe auf Papier gemalten Bildern. Sie jedoch auf den Aspekt des Putzigen reduzieren zu wollen, hieße, die Kunst Kattlers zu einseitig und oberflächlich zu begreifen.

Anders als in ihren früheren Gemälden, in denen sie, einem Relief vergleichbar, aus einem abstrahierten, flächig gestalteten Bildgrund das Tier mit Hilfe der Finger aus Farbe plastisch modelliert, setzt Kattler die kleinen Nager völlig isoliert auf das weiße Blatt. Auch hier ist die Farbe mit Pinsel, Fingern oder Pinselstiel pastos aufgetragen. Herausgenommen aus einem übergeordneten Kontext, gewinnt das Tier trotz des kleinen Formates eine irritierende Absolutheit der Präsenz.

Arbeitsspuren in Form von Klecksen und Farbflecken lässt Vera Kattler bewusst stehen, um die Skizzenhaftigkeit und Spontaneität der Bilder zu betonen. Ausgehend von einem bestimmten Motiv entwickelt sie in rascher Folge mehrere Variationen desselben Tieres als eigenständige Reihe, wobei sie unterschiedliche Eigenschaften und Ansichten thematisiert und die Bilder zunehmend zum Malerischen und Abstrakten hin entwickelt. So kann es vorkommen, dass sich die Farbigkeit ganz frei vom realen Vorbild entfaltet oder sich die Form zum Ambivalenten verändert. Manchmal ist es schwierig, gar unmöglich, das dargestellte Tier genau zu identifizieren. Unterschiedliche Merkmale treten ins Bewusstsein, etwa die Feingliedrigkeit des Körperbaus, das flauschige Volumen des Fells, die Intensität des Blicks, behäbiges Einrollen, Sattheit und Schläfrigkeit oder beeindruckende Beweglichkeit und Flinkheit bis hin zu Angriffslust und Kampfbereitschaft.

Mitunter erscheinen Kattlers Ratten, Mäuse und Hamster wie deformierte, einzig durch einen herausfordernden Blick belebte und in einem Prozess der Metamorphose befindliche Kreaturen. Einige Titel ihrer 2011 entstandenen Serien lauten „Mausklumpen“, „Klumpenbildung“, „Wandelwesen“, „drei wechselbälger“ oder „das kleine monströse“. Sie  sprechen die Themen Missbildung, Verwandlung und Unbehagen dezidiert an. Vera Kattler geht es nach eigener Aussage nicht um die wirklichkeitstreue Imitation eines spezifischen Geschöpfes, sondern „um die Darstellung des Tierhaften, des Fremden“ schlechthin, das wir intuitiv erfassen.[1]

Große Tiere können uns durch ihre körperliche Überlegenheit und Wildheit ängstigen, doch wir spüren auch bei Kattlers als niedlich geltenden Kleintieren eine dunkle, beunruhigende Seite. Ein Charakteristikum des Animalischen ist die Unberechenbarkeit. Um die eigene Existenz zu sichern oder zu verteidigen, greift selbst das kleine Tier seine potenziellen Feinde instinktiv an. Das Triebhafte, Aggressive bestimmt das Leben wesentlich mit. „das kleine monströse“ trifft damit auch den Kern unserer menschlichen Existenz.

In Kattlers Tierbildern ahnen wir die Nähe des abgebildeten Wesens zu uns selbst. Wir begegnen in ihnen dem anderen, das sich uns immer nur zum Teil offenbart. Indem Vera Kattler den Bildgegenstand malerisch sehr frei interpretiert und Details oft nur andeutet, gelingt es ihr, das Geheimnis des Unbekannten zu wahren.

Dr. Petra Wilhelmy

[1]          www.verakattler.blogspot.com, 26.06.2011



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